Die Gebirgsdörfler nannten das weiße Haus, das sich auf dem flachen Weideberg erhob, nur das Schloß. Ein Schloß war es nicht, mehr ein im Landhausstil erbautes altes Gebäude, das von hohen alten Tannen umstanden war. Ein breiter Fahrweg führte vom Dorfe Gosau in zwei weiten Kehren empor.
Dort oben war es recht still; seit Jahren wohnte im Schloß ein altes Ehepaar, das nach dem rechten sah. Seit Generationen war dieses Haus im Besitz der Ißlings. Die alten Leute aus Gosau erinnerten sich noch genau des unfreundlichen und aufbrausenden Besitzers Gotthold von Ißling, der den Gosauern das Leben recht schwer gemacht hatte. Sein Sohn Franz war mit seiner Gattin wenig nach Gosau gekommen, er lebte fast ausschließlich in Wien. Dort wurde auch seine einzige Tochter Karin erzogen.
Seit drei Tagen waren die Fenster des Schlosses weit geöffnet, Postboten gingen mit Paketen hinauf. Es hieß, daß Frau von Ißling, deren Mann vor zwei Jahren ganz plötzlich gestorben war, mit ihrer siebzehnjährigen Tochter Karin herkäme, um den Sommer über im Schloß zu wohnen. Frau von Ißling, so sagten die Verwaltersleute, sei seit Monaten schwer krank, der Arzt habe ihr Luftveränderung verordnet. So sollte ihr das Schloß als Wohnung dienen.
Gar viele neugierige Blicke flogen hinauf zum weißen Schloß auf dem Weideberg. Alte Erinnerungen wurden dabei wach. Viel Gutes erzählte man nicht von Gotthold von Ißling. Seinen Sohn, die Schwiegertochter und das Enkelkind kannte man kaum. Sie mochten auch nicht anders sein als der Alte, der das Geld zusammengerafft hatte und kein Herz für seine Mitmenschen besaß, die sich im Schweiße des Angesichts um das tägliche Brot mühten.
Was hätte man auch in Gosau für Schätze sammeln können! Der kleine Ort, von hohen Bergen umgeben, erstreckte sich wohl einen Kilometer lang rechts und links des dahinfließenden Gosaubaches. Das sonst enge Tal erweiterte sich hier beträchtlich, so daß die Dorfbewohner Ackerbau treiben konnten. Es waren natürlich nur kleine Felder, die sie besaßen, doch reichte deren Frucht aus, um ein bescheidenes Leben führen zu können. Weite Weideflächen dehnten sich an den Vorbergen hinauf, die schließlich in einen breiten Waldgürtel übergingen. Gar schön lag das Dorf Gosau auf der Talsohle. Im Hintergrund wurde der gewaltige Dachstein sichtbar, der mit seinen beiden Gletschern das Tal abschloß. Das Hohe Kreuz, der gewaltige Thorstein und die zackigen Donnerkögel vervollständigten den Kranz der Berge. Es war zu verstehen, daß die Einwohner ...
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Título : Wo die Alpenrosen blühn
EAN : 9783752605617
Editorial : Books on Demand
Edad, de : 12 años
Fecha de publicación
: 17/9/20
Formato : ePub
Tamaño del archivo : 1.05 mb
Protección : Aucune
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