An einem Nachmittag, Anfang Juni, ging er die Holywell-Straße entlang; auf seinem dichten, dunklen Haar trug er keine Mütze, und sein kurzes, talarartiges Gewand hing lose über die Arme herab. Ein Junge von mittlerer Größe und einer Gestalt, als stamme er von zwei grundverschiedenen Geschlechtern ab, das eine robust, das andere leicht und sehnig. Auch sein Gesicht zeigte eine seltsame Mischung, denn trotz der energischen Züge war sein Ausdruck sanft und nachdenklich. Seine dunkelgrauen, leuchtenden Augen mit den tiefschwarzen Wimpern schienen über das, was sie sahen, hinwegzublicken, so daß es einem manchmal vorkam, als weile er ganz woanders; sein flüchtiges, lebhaftes Lächeln zeigte Zähne, die so weiß wie die eines Negers waren, und verlieh seinem Gesicht einen eigentümlichen Ausdruck steter Erwartung. Die Leute starrten ihn ein wenig an, als er vorbeiging, denn im Jahre 1880 war er seiner Zeit schon dadurch voraus, daß er keine Mütze trug. Besonders die Frauen interessierten sich für ihn; sie merkten, daß er ihnen keine Beachtung schenkte, sondern in die Ferne zu blicken und seinen Gedanken nachzuhängen schien.
Verstand er eigentlich, was er dachte, verstand er damals überhaupt etwas, da alles, was über seinen unmittelbaren Horizont hinausging, ihm so merkwürdig und interessant vorkam? Wußte er auch, was er zu sehen und zu tun gedachte, nachdem er sein Studium in Oxford beendet hatte, wo jedermann so 'furchtbar nett' zu ihm war und so 'ganz wie es sich gehörte', aber nicht gerade sehr interessant?
Er war auf dem Wege zu seinem Professor, um ihm einen Aufsatz über Oliver Cromwell vorzulesen. Unter der alten Mauer, die einst die Stadt umschlossen hatte, zog er ein Tier aus der Tasche. Es war eine kleine Schildkröte; in ihre Betrachtung ganz versunken, verfolgte er die forschenden Bewegungen ihres kleinen Kopfes und befühlte sie die ganze Zeit über mit seinen kurzen, breiten Fingern, als hätte er ganz genau herausfinden wollen, wie sie beschaffen war. Was für einen mächtig harten Rücken sie doch hatte! Kein Wunder, daß dem armen alten Aischylus ein bißchen übel wurde, als sie ihm auf den Kopf fiel! Die Alten dachten, die Welt werde von einer Schildkröte getragen, eine Welt voll Götzen, vielleicht Menschen, Tieren oder Bäumen, wie jenes Schnitzwerk an dem chinesischen Schrank seines Vormundes. Die Chinesen schufen merkwürdig komische Tiere und Bäume, als stellten sie sich alle Dinge beseelt vor und nicht nur gerade dazu geschaffen, daß die Menschen sie ...
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Título : Die dunkle Blume
EAN : 9783756210053
Editorial : Books on Demand
Fecha de publicación
: 27/7/22
Formato : ePub
Tamaño del archivo : 1.65 mb
Protección : Aucune
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