Hulda betrachtete unterdessen noch immer den Brief Oles, beeilte sich aber gar nicht, ihn zu öffnen. Doch man bedenke nur! Diese empfindliche Papierhülle hatte den ganzen Ozean überqueren müssen, um zu ihr zu gelangen, das ganze große Weltmeer, in dem sich die Flüsse des westlichen Norwegens verlieren. Sie nahm die verschiedenen Poststempel in Augenschein. Am 15. März aufgegeben, kam dieser Brief doch erst am 15. April in Dal an; also hatte Ole ihn schon vor einem Monat geschrieben! Was hatte sich nicht alles während dieses Monats ereignen können in den Gewässern von Neufundland! – Newfoundland, das ›neu gefundene Land‹. War jetzt nicht noch Winter, die gefährliche Zeit der Tag- und Nachtgleiche? Und sind jene Fischgründe nicht die unwirtlichsten der Welt, mit den hier häufig vorkommenden furchtbaren Stürmen, die vom Pol über die Ebenen Nordamerikas hinabgesendet werden? Es ist ein mühseliges und gefährliches Leben, das des Hochseefischers, welches auch Ole führte! Und war es nicht so, dass er sich diesen Gefahren nur aussetzte, um den Lohn für sie nach Hause zu bringen, seine Verlobte, die er bei seiner Rückkehr zur Ehefrau nehmen würde? Armer Ole! Was schrieb er wohl in diesem Brief? Gewiss, dass er Hulda noch immer liebte, wie auch Hulda ihn stets lieben würde, dass ihre Gedanken sich trotz der Entfernung begegneten, und dass er den Tag seiner Rückkehr nach Dal herbeisehnte!
Ja! all das musste er sagen, da war Hulda sich sicher. Vielleicht schrieb er auch noch, dass seine Heimkehr nahe bevorstehe, dass diese Fischfahrt, die die Fischer von Bergen so weit wegführt von ihrer Heimat, endlich zu Ende gehen sollte!? Vielleicht berichtete ihr Ole auch, dass die Viken nur noch ihre Ladung verstaue und sich zum Lichten der Anker rüste, dass die letzten Tage des April nicht vergehen würden, ohne sie beide wieder in dem glücklichen Hause des Vestfjorddals vereinigt zu sehen? Vielleicht meldete er ihr gar, dass schon der Tag festgelegt werden könne, an dem der Pfarrer von Mæl hinüberkommen sollte, um sie in der kleinen hölzernen Kapelle zu vereinen, deren Glockenturm aus einem dichten Gehölz, einige hundert Schritte von der Herberge der Frau Hansen, hervorlugte?
Um das zu erfahren, hätte es ja genügt, das Siegel des Umschlags zu brechen, den Brief Oles herauszuziehen und ihn zu lesen, auch wenn es durch Tränen hindurch geschehen müsste, die Tränen des Schmerzes oder der Freude, die sein Inhalt den Augen Huldas eben entlocken mochte. Und bestimmt hätte ein ungeduldigeres Kind des Südens, ja auch ein Mädchen aus Dalarna, aus Dänemark oder Holland schon längst gewusst, was die junge Norwegerin jetzt noch nicht wusste! Aber Hulda träumte eben, und Träume enden bekanntlich nicht eher, als bis es Gott gefällt, sie abzubrechen. Und wie oft hängt man ihnen nach, da doch die Wirklichkeit nicht selten gar so enttäuschend ist!
Außergewöhnliche Reisen, Band 30. Neuübersetzung unter Verwendung älterer, gemeinfreier Übersetzungen. Mit Fußnoten, Anmerkungen und einer Nachbemerkung. Enthält außerdem die Kurzgeschichte Frtitt-Flacc.
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Título : Ein Lotterie-Los
EAN : cdlxi00373006
Editorial : Jules Verne
Fecha de publicación
: 1/11/16
Formato : ePub
Tamaño del archivo : 5.86 mb
Protección : CARE
El libro electrónico Ein Lotterie-Los está en formato ePub
protegido por CARE
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